Karl Schulte hat als Amtsgerichtsrat und Behördenleiter in Wiedenbrück von 1928 – 1957 mehrere Jahrzehnte das Gesicht des Amtsgerichts Wiedenbrück entscheidend mitgeprägt.

In seinem Lebenslauf spiegeln sich exemplarisch die umwälzenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts ebenso wider wie die – auch wirtschaftlichen - Nöte eines Amtsrichterlebens in politisch bewegten Zeiten.

Wie aus Schilderungen zahlreicher Zeitzeugen hervorgeht, war er ein "herzensguter Mensch" mit viel Mitgefühl und Verständnis für die Menschen seines Gerichtsbezirks.

Seine offene und vertrauensvolle Wesensart brachte ihn im Dritten Reich ebenso in erhebliche Gefahren wie sein mutiges Bekenntnis zur katholischen Kirche.

Die folgende Darstellung beschränkt sich auf das berufliche Wirken Schultes und blendet Privates (etwa die Erfolge in der Pferdezucht) weitgehend aus.


Familie

Der aus einer alten münsterländischen Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie stammende Karl Schulte wurde am 13.12.1889 in Emden geboren, wo sein Vater, der spätere Geheime Regierungs- und Oberbaurat Dr. Friedrich Wilhelm Schulte, als Wasserbauingenieur mit dem Bau des Außenhafens beschäftigt war.

Sein aus Haltern gebürtiger Urgroßvater Johann Josef Schulte kaufte 1814 in Münster das Haus Prinzipalmarkt Nr. 35 und betrieb dort eine Spezerei- und Colonialwarenhandlung, die mehrere Generationen im Familienbesitz blieb.

Sein Großvater Anton Melchior Schulte besaß in Münster am Michaelisplatz 9 ein Tuchgeschäft.

Die aus der Rietberger Familie Junkmann stammende Großmutter Anna Schulte geb. Junkmann gehörte mit ihrem Bruder, dem Breslauer Geschichtsprofessor Wilhelm Junkmann zum Freundeskreis der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff.

Ein Onkel, der Gymnasialdirektor Dr. Wilhelm Schulte, machte sich einen Namen als schlesischer Landesgeschichtler und trat später als Pater Lambertus in den Franziskanerorden ein. Einige Zeit gehörte er auch zum Wiedenbrücker Konvent der Franziskaner.

Weitere herausragende Mitglieder der Familie waren u.a. der an der Universität Bonn als Historiker lehrende Onkel Dr. Aloys Schulte, dessen Standardwerk über den mittelalterlichen Handel ihn zu einem Begründer der modernen Wirtschaftsgeschichte machte, und der Landgerichtspräsident Karl Anton Schulte, der als Abgeordneter des Zentrums dem Reichstag angehörte.


Jugend und Studium

Karl Schulte besuchte in Emden die Volksschule, später in Münster die Domschule und das Gymnasium. Sein Vater war inzwischen wieder nach Westfalen versetzt worden und u.a. an Planung und Bau des Schiffshebewerkes Henrichenburg beteiligt, welches 1899 von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde und zur damaligen Zeit als technisches Wunderwerk galt.

Ostern 1910 legte Schulte das Abitur am traditionsreichen Münsteraner Gymnasium Paulinum ab.

Da sein Vater einen Ruf an das Oberpräsidium Breslau erhalten hatte und maßgeblich an der Oderregulierung beteiligt war, nahm Karl Schulte ab dem Sommersemester 1910 das Jurastudium in Breslau auf und legte im März 1914 das Referendarexamen ab.


Erster Weltkrieg und Richtertätigkeit in Schlesien

Die sich anschließende Referendarzeit (u.a. am Landgericht Breslau und Amtsgericht Neurode) wurde durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs beendet.

Wie viele seiner Altersgenossen meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und diente vom 1.10.1914 –23.12.1918 im Feldartillerie-Regiment Nr. 6. Aus dem mehrjährigen Fronteinsatz kehrte er als Vizewachtmeister (ab 1922 Leutnant der Reserve) mit einer leichteren Verwundung (Streifschuss an der Schläfe) und einer schweren Malaria, die er sich auf dem Balkan zugezogen hatte, nach Breslau zurück.

Auch als Folge seines Kampfes gegen die Malaria war er zeitlebens sehr um körperliche Ertüchtigung bemüht.

Bereits kurze Zeit nach der Entlassung aus dem kaiserlichen Heer brachte Karl Schulte die bemerkenswerte Energie auf, die abgebrochene Referendarausbildung ab Januar 1919 bei dem Landgericht Breslau fortzusetzen.

1922 bestand er das Assessorexamen und wurde ab Ende September 1922 als Hilfsrichter zur unentgeltlichen Beschäftigung an Gerichten in Breslau, Löwenberg, Schweidnitz, Hindenburg und Reinerz eingesetzt. Als Folge der sog. "Weimarer Assessorennot" wurde er weitgehend von seiner Familie unterhalten, obwohl deren Ersparnisse zum großen Teil durch die Inflation 1922/1923 aufgezehrt worden waren.

Bereits ab dem 1.10.1924 – wenige Tage nach dem Tod seines Vaters - gelang es Schulte eine besoldete Planstelle als Amtsgerichtsrat bei dem kleinen Amtsgericht in Wansen/Schlesien (Landgerichtsbezirk Brieg) zu erreichen.

Sein Jahresgehalt wurde auf 3900,74 Mark und 312 Mark Ortszuschlag festgesetzt.

Als Folge der Inflation wurde Karl Schulte in Wansen - neben den normalen Verfahren - mit juristischem Neuland konfrontiert (sog. Aufwertungssachen). Während zunächst von den Instanzgerichten vertreten worden war, dass der Grundsatz "Mark = Mark" auch bei fortschreitender Inflation auf Kosten des Gläubigers zu gehen habe, in besserem Geld begründete Schulden also in entwerteter Papiermark zurückgezahlt werden konnten, entschied das Reichsgericht 1923, dass nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB eine Anpassung zu erfolgen habe. Folge war das sog. Aufwertungsgesetz vom 16.7.1925.

Ein Revisionsbericht des Brieger Landgerichtspräsidenten Rudorff (späterer Landgerichtspräsident in Bielefeld) von November 1925 hebt besonders Schultes sorgfältige und rasche Erledigung von Aufwertungssachen aufgrund des neuen Gesetzes trotz hoher Eingangszahlen hervor und seine Teilnahme an zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen in Breslau etwa zur Aufwertung von Bank- und Sparkassenguthaben sowie Versicherungsansprüchen.


Amtsrichter in Wiedenbrück

1925 lernte Schulte seine spätere Frau Elisabeth geb. Engels, die Tochter eines Paderborner Bauunternehmers, kennen.

Nach der Verlobung im Oktober 1927 hörte er von der 1928 frei werdenden Amtsrichterstelle in Wiedenbrück und der – noch unbestimmten - Absicht der Stadt Wiedenbrück eine Richterwohnung zu beschaffen oder ggf. neu zu bauen.

Er ließ sich daher zum 1.5.1928 an das Amtsgericht Wiedenbrück versetzen und löste den dort ab 1901 tätigen Amtsgerichtsrat Kersting ab.

Seine Hoffnungen auf eine Richterwohnung wurden zunächst enttäuscht. Die Stadt Wiedenbrück zählte bei seinem Amtsantritt keine 5.000 Einwohner, freie Mietwohnungen waren nicht vorhanden.

Schulte wohnte zunächst über zwei Jahre in zwei möblierten Zimmern, sein Amtsvorgänger Kersting hatte mit Genehmigung der Justizverwaltung außerhalb des Gerichtsbezirks gewohnt.

1928 richtete er ein Gesuch an den LG-Präsidenten in Bielefeld doch auf die Stadt Wiedenbrück einzuwirken, dass für den Amtsrichter eine Wohnung errichtet werde, um diesen am Ort zu halten.

Er wies darauf hin, dass auch Beckum eine Richterwohnung gebaut und Oelde sogar zwei Richterwohnungen beschafft habe.

Die Stadt Wiedenbrück kam dem Wunsche nach und errichtet einen Neubau "im Stile eines Siedlungshauses" in der Paul Schmitzstr. 17 (heute Nr. 5), der von Schulte nach seiner Heirat im Jahre 1930 bezogen wurde.

Die ursprüngliche Jahresmiete betrug sehr hohe 2.000 Reichsmark. Nach Kürzung der Beamtengehälter aufgrund der Notverordnungen von Reichskanzler Brüning im Herbst 1930 geriet die junge Familie trotz Unterstützung durch die Schwiegereltern in wirtschaftliche Not. Aufgrund einer Eingabe Schultes beschloss der Magistrat der Stadt Wiedenbrück am 25.8.1931 die jährliche Wohnungsmiete auf 1080 Reichsmark zurückzusetzen.

Durch Erlass des Justizministers vom 30.11.1932 wurde Schulte die allgemeine Dienstaufsicht über das Amtsgericht übertragen d.h. er wurde Behördenleiter


Drittes Reich

Das Jahr 1933 brachte ihm neben seiner Tätigkeit in Wiedenbrück zunächst erhebliche Mehrarbeit, weil er die Neuerrichtung des 1932 aufgelösten Amtsgerichts Rietberg zu organisieren hatte. Weder Räumlichkeiten, noch Personal und Einrichtung waren vorhanden.

1935/1936 wurde unter seiner Leitung ein erster Anbau (Querriegel) an das Wiedenbrücker Amtsgerichtsgebäude aus dem Jahre 1889 errichtet.

Obwohl Karl Schulte seit 1933 einfaches Parteimitglied war (ca. 78 % der Richter des OLG-Bezirks Hamm waren Mitglied der NSDAP), geriet er in den folgenden Jahren in ernsthafte und für ihn und seine Familie nicht ungefährliche Konflikte mit dem nationalsozialistischen Staat.


Devisenprozesse

Ab Mai 1935 begannen als Kampfmaßnahme gegen die katholische Kirche die sog. Devisenprozesse gegen katholische Geistliche und Ordensangehörige. Die 1934 verschärften Reichsdevisengesetze sollten den unkontrollierten Abfluss von Kapital unterbinden, ohne Genehmigung durften keine Devisen ins Ausland gebracht werden. Finanzielle Transaktionen der Kirche (etwa zur Aufrechterhaltung der Chinamission oder zur Rückzahlung von im Ausland aufgenommenen Darlehen) führten teilweise zu drakonischen Zuchthausstrafen, die von einigen älteren Geistlichen und Ordensleuten nicht überlebt wurden.

Im Kampf gegen die katholische Kirche sollten Bischöfe, Klerus und Ordensangehörige als korrupt, geldgierig und als Staatsfeinde diffamiert werden.

Der dem katholischen Glauben eng verbundene Schulte unterhielt sich im Sommer 1935 über Zeitungsberichte betreffend aktuelle Urteile in den Devisenprozessen u.a. mit einem Juristen, der ein Kartellbruder aus dem Kartellverband der katholischen Studentenverbände war. Dabei brachte er zum Ausdruck, dass er die Urteile angesichts der Kompliziertheit der Devisenbestimmungen für zu hart halte. Subjektiv hätten die deutschen Ordensangehörigen im Verhältnis zu ihren im Ausland befindlichen Niederlassungen keine Grenzen gesehen und ihre Handlungen nicht für strafbar erachtet. Im übrigen könnten die Urteile dem Deutschen Reich vielleicht noch teuer zu stehen kommen oder noch mehr schaden, weil aufgrund der Verurteilungen fast das gesamte Vermögen der Orden beschlagnahmt worden sei. Die ausländischen Darlehensgeber der Orden würden sich an das Deutsche Reich halten, weil sie ihre Forderungen gegen die Orden nicht mehr durchsetzen könnten.

Diese im privaten Gespräch gemachten Äußerungen wurden von seinem Gesprächspartner dem örtlichen Kreisleiter der NSDAP Horn hinterbracht, welcher umgehend Strafanzeige gegen Schulte erstattete.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Sondergericht Dortmund eröffnete im Januar 1936 ein Ermittlungsverfahren wegen Vergehens gegen § 2 des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutze der Parteiuniform vom 20.12.1934 (Heimtückegesetz).

Im Februar 1936 wurde das Verfahren mit Zustimmung des Reichsjustizministers eingestellt. Im Abschlussbericht des Anklägers beim Sondergericht Dortmund wird betont, dass sich Schulte "offenbar aus grundsätzlichen Erwägungen bewusst abfällig über Urteilssprüche in den Devisenprozessen geäußert habe". Letztlich könne aber nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass der objektive Tatbestand des § 2 Heimtückegesetz erfüllt sei, da sich die Äußerungen gegen Urteile gerichtet hätten, nicht aber gegen "Persönlichkeiten des Staates oder der Bewegung".

Disziplinarrechtlich erhielt Schulte eine relativ milde Ermahnung des Präsidenten des LG Bielefeld vom 25.5.1936: "....nehme ich Veranlassung Sie zu ersuchen, sich künftig bei der Erörterung von Urteilen, die den politischen Katholizismus betreffen, größerer Zurückhaltung und Sachlichkeit zu befleißigen."

Seit der Verfahrenseinstellung war Schulte jedoch in das Visier der NSDAP geraten und wurde argwöhnisch beobachtet.

In einem Schreiben des Gaurechtsamtes der NSDAP vom 3.9.1936 an den Landgerichtspräsidenten wurde nachgefragt, ob denn mittlerweile "dienstaufsichtrechtliche oder disziplinarische Maßnahmen ergriffen worden seien".

Registriert wurde von der NSDAP auch, dass Karl Schulte trotz des Drucks der Partei in Wiedenbrück weiterhin in vorderster Reihe an der jährlichen Fronleichnamsprozession teilnahm.

In einem Schreiben des Führers des NS-Juristenbundes für den OLG-Bezirk Hamm vom 29.7.1939 heißt es zu Schulte u.a.: "Der Mann fällt am laufenden Bande auf! Prozession!"

Auch die Beschäftigten des Amtsgerichts ("Gefolgschaft") standen unter Beobachtung.

Seitens des Kreisleiters der NSDAP Horn wurde Schulte eine zu lasche Führung des Gerichts vorgeworfen. Die Beamten und Angestellten des Amtsgerichts würden nicht ordentlich ("Deutscher Gruß") grüßen, zum Teil erfolge der Gruß noch mit dem Hut. Auch in der Partei würden die Angehörigen des Amtsgerichts Wiedenbrück nicht richtig mitarbeiten.

Ferner seien die Sammelergebnisse der Behörde (Winterhilfswerk usw.) schlecht.


Priesterprozesse

Aus der Familie wird berichtet, dass Schulte zur Zeit der sog. Priesterprozesse vor dem Sondergericht Dortmund (1935-1939) die Vollstreckung eines Haftbefehls gegen einen katholischen Priester aus Rheda, der nach einer Sonntagspredigt erlassen worden war, bewusst verschleppt habe, um ihm so die Flucht mit Hilfe des Generalvikariats Paderborn zu ermöglichen.

Karl Schulte soll in diesem Zusammenhang mehrfach geäußert haben, dass er "nie die Hand gegen einen Priester erheben werde."


Schulkampf

Zu einer weiteren bedrohlichen Situation für Schulte kam es 1939 im Kampf der westfälischen Katholiken gegen die "Deutsche Gemeinschaftsschule".

Obwohl im Reichskonkordat von Juli 1933 in Artikel 23 der Weiterbestand der katholischen Bekenntnisschule ausdrücklich garantiert worden war, wurde ihre Abschaffung von den Nationalsozialisten als Teil des Kirchenkampfes ab 1935 energisch betrieben. Goebbels vermerkte am 29.12.1937 in seinem Tagebuch: "Die Bischöfe erlassen wieder einen gemeinsamen Hirtenbrief gegen die Gemeinschaftsschule. Beschlagnahmt und enteignet. Das ist das wirksamste Mittel."

Im Winter 1939 begann die katholische Kirche eigene Abstimmungen über die Frage Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule. Nach dem Lagebericht der Gauleitung Westfalen-Nord für die Monate April/Mai 1939 gab es ca. 90.000 Einsprüche gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule.

Die Teilnahme an der Abstimmung war nicht gefahrlos, da die Gegnerschaft gegen die Gemeinschaftsschule mit der Ablehnung des nationalsozialistischen Staates gleichgesetzt wurde. Ein Landgerichtsrat des Landgerichts Münster erhielt neben mehreren anderen Richtern des Bezirks von seinem Präsidenten eine "scharfe Missbilligung": "Der Beamte verletzt seine Treuepflicht, wenn er sich an Protestaktionen gegen Maßnahmen des Staates beteiligt. Von dem Richter insbesondere muss bei seiner verantwortungsvollen Stellung erwartet werden, dass er den Inhalt seiner Treuepflicht klar erkennt und sich nicht durch Massenkundgebungen in der Erfüllung seiner Pflichten beirren lässt."

Hinsichtlich des aufsichtführenden Richters des benachbarten Amtsgerichts Warendorf heißt es in dem bereits zitierten Schreiben des Führers des NS-Juristenbundes: " ...kann man zur Not noch verstehen, dass alte Kalksäcke sich an der genannten Aktion beteiligt haben; mir bleibt aber jedes Verständnis dafür weg, dass ein solch junger Mann (1903 geboren) versagt. Als Aufsichtsrichter ist er untragbar."

Nachdem auch in Wiedenbrück von der Kirche organisierte Abstimmungen stattgefunden hatten, wurde Schulte als Behördenleiter zur Berichterstattung zu der Frage aufgefordert, wer von den Beamten des Amtsgerichts Wiedenbrück an der Abstimmung teilgenommen habe.

Er meldete im April 1939 an das Landgericht Bielefeld, dass sich Beamte des Amtsgerichts nicht an Kundgebungen oder Abstimmungen gegen die Gemeinschaftsschule beteiligt hätten.

Diese Meldung war objektiv falsch, da zumindest sein Geschäftsleiter Justizinspektor Kolkmann gegen die Gemeinschaftsschule gestimmt hatte. Ein Beamter des mittleren Dienstes, der Parteifunktionär in der Ortsgruppe Gütersloh-Nord war, und sich benachteiligt fühlte, weil ihm durch die Geschäftsverteilung überwiegend einfache Kanzleiarbeiten übertragen worden waren, denunzierte Schulte bei dem NSDAP-Kreisleiter Horn, welcher wiederum den Sicherheitsdienst Dortmund des Reichsführers SS verständigte.

Dem folgenden Verfahren kann mit hoher Wahrscheinlichkeit entnommen werden, dass Schulte sinngemäß vor Beamten seines Gerichts geäußert hatte, er wolle wegen der Frage nach einer Teilnahme an der Abstimmung keine Antwort haben, er melde niemanden, die Leute seien im Recht. Das Schulgesetz sehe ein Widerspruchsrecht vor.


Versetzung

Karl Schulte erhielt eine disziplinarrechtliche "Warnung" und wurde gerügt, dass sein Verhalten und seine Äußerungen "sich nicht mit den Pflichten eines aufsichtführenden Richters vertragen".

Gleichzeitig versuchte man ihn auf Dauer von Wiedenbrück zu entfernen.

Der Präsident des OLG Hamm Schneider erteilte am 18.8.1939 die Weisung, dem "Amtsgerichtsrat Schulte dringend nahezulegen, seine Versetzung von Wiedenbrück zu beantragen".

Der Versetzung entging Schulte einstweilen nur durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Unter dem 19.9.1939 teilte der OLG-Präsident mit, dass er "mit Rücksicht auf die gegenwärtige Lage damit einverstanden sei, dass Amtsgerichtsrat Schulte von einem Versetzungsgesuch absehe".

Die Frage seiner Entfernung aus dem Amtsgerichtsbezirk Wiedenbrück, die von der NSDAP weiterbetrieben wurde, löste sich jedoch zunächst durch die Einberufung Schultes zur Wehrmacht. Vom 8.6.1940 – 30.6.1942 war er – zum Oberleutnant befördert – in der Zensurabteilung des Generalkommandos Münster tätig. Nach Erinnerung der Familie war insbesondere für das Abhören von "Feindsendern" zuständig.

Nach der Wiederaufnahme der Richtertätigkeit Anfang Juli 1942 blieb er zunächst unbehelligt und wurde nur vorübergehend mit einem Drittel seiner Arbeitskraft an das AG Gütersloh abgeordnet.

Im Juni 1943 wurde er – obwohl langjährig erfahrener Aufsichtsrichter – aufgrund eines Erlasses des Reichjustizministers in ein sog. "Verzeichnis der entbehrlichen Kräfte vom 28.6.1943" aufgenommen und ab dem 1.9.1943 im Rahmen eines "Kräfteausgleichs" dem Generalstaatsanwalt in Kiel zur Verwendung im staatsanwaltschaftlichen Dienst zur Verfügung gestellt.

Diese drohende Versetzung, insbesondere die anstehende Trennung von seiner Ehefrau und seinen kleinen Töchtern Maria-Luise geb. 1936 und Elisabeth geb. 1941 traf ihn sehr, so dass er alles versuchte sie abzuwenden.

Er suchte umgehend persönlich seine Wehrmachtseinheit in Münster auf und konnte dort erreichen, dass er als Schutz vor der Versetzung vom 5.9. – 30.9.1943 eine erneute Einberufung zum Generalkommando erhielt. Das Generalkommando VI in Münster richtete ferner ein Schreiben an die Justiz, dass Schulte als besonders ausgebildeter Offizier seiner Einheit erforderlichenfalls zu jeder Zeit schnellstens zur Verfügung zu stellen sei.

Gleichzeitig wurde der ihm immer wohlgesonnene LG-Präsident Pfeil für ihn bei dem Oberlandesgericht Hamm vorstellig und wies u.a. darauf hin, dass Schulte in seinem ländlichen Bezirk kaum Erfahrungen im Strafrecht habe sammeln können und ihm die Rednergabe für ein Auftreten in der Hauptverhandlung fehle. Außerdem sollten besser Schwierigkeiten mit dem Generalkommando vermieden werden.

Der OLG-Präsident schloss sich dieser Argumentation an, so dass das Reichsjustizministerium von der Versetzung Abstand nahm.

Nach erneutem Wehrdienst vom 25.1. – 13.12.1943 wurde Schulte in den beiden letzten Kriegsjahren – obwohl Familienvater und bereits 56jährig- mehrfach im gesamten OLG-Bezirk versetzt und von seiner Familie getrennt.

Wie aus einem Schreiben des LG-Präsidenten vom 14.10.1944 deutlich hervorgeht, erfolgten die Versetzungen nicht aus dienstlichen Bedürfnissen, sondern allein aus politischen Gründen: "Die Gründe, die zu seiner Beschäftigung außerhalb Wiedenbrücks geführt haben, lagen in seinen nahen Beziehungen zu den kirchlichen Kreisen."

Schulte wurde am 3.1.1944 zunächst an das AG Bielefeld versetzt, vom 9.1.1944 – 31.3.1944 an das AG Dillenburg, ab 1.4.1944 wieder an das AG Bielefeld und ab 3.7.1944 gleichzeitig an drei Tagen der Woche an das AG Halle.

Vom 3.8.1944 – 18.8.1944 erfolgte die Versetzung an das AG Dortmund, ab dem 19.8.1944 bis Kriegsende die Versetzung an das AG Grevenbrück (LG-Bezirk Siegen).

Mehrfache Bemühungen des Landgerichtspräsidenten Pfeil, Schulte auf seine Bitte in die Nähe der Familie zurückzuholen und auf eine freigewordene Amtsrichterstelle in Lippstadt zu versetzen, scheiterten.


Nachkriegszeit

Nach Kriegsende erreichte Schulte zum großen Teil zu Fuß von Grevenbrück seine Heimatstadt Wiedenbrück.

Aufgrund einer Namensverwechslung mit einem anderen Karl Schulte wurde er für kurze Zeit von den Militärbehörden in Gütersloh inhaftiert. Als bei einer Leibesvisitation bei ihm ein Gesangbuch und ein Amulett des "Dritten Ordens der Franziskaner" gefunden wurden, kamen bei dem britischen Militär erste Zweifel auf, ob dieser Befund mit den seinem Namensvetter vorgeworfenen Taten vereinbar sein konnte. Ein jüdischer Einwohner Rhedas, der den Krieg überlebt hatte, setzte sich für Schulte ein und erreichte seine Freilassung.

Bereits im Jahre 1945 wurde er von der britischen Militärregierung wieder als Richter eingesetzt.

Am 5.12.1945 schwor er nach geleisteten Diensteiden im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Dritten Reich nunmehr einen Eid auf die deutschen Gesetze und die Rechtsvorschriften der Militärregierung.

Ein Großteil seiner Tätigkeit bestand zunächst in der Führung des Amtsgerichtsgefängnisses nach den Weisungen der Militärregierung.

Im Dezember 1945 wurde ihm -neben der Tätigkeit bei dem Amtsgericht Wiedenbrück- auch die Leitung des Amtsgerichts Rietberg übertragen.

Mit Bescheid des Entnazifizierungsausschusses für den Kreis Wiedenbrück wurde Schulte in die Kategorie V (Gruppe der Entlasteten) eingestuft, zuvor war er durch Bescheid der Militärregierung für das Land "North Rhine Westphalia" vom 18.4.1947 als Amtsgerichtsrat bestätigt worden.

In eine schwere Lebenskrise geriet Schulte 1948/1949, als die Beschwerde eines Beamten der Polizeistation Rheda an den LG-Präsidenten herangetragen wurde, welche - heute kaum nachvollziehbare- umfangreichste Ermittlungen auslöste.

Ihm wurde u.a. zu große Milde bei der Aufhebung von Haftbefehlen und Schädigung des Ansehens der Justiz wegen zu auffälligen "Hamsterns" vorgeworfen.

Schulte hatte –wie praktisch jeder erwachsene Deutsche, der Gelegenheit hatte - vor der Währungsreform bei Bauern der Umgebung in geringen Mengen zusätzliche Lebensmittel (Milch, Eier, Rüben- und Birnenkraut, Hülsenfrüchte) für seine an - ärztlich attestierter - Unterernährung leidende Familie gekauft.

Neben dem Vorwurf der Schädigung des Ansehens der Justiz wurde zu seinem Nachteil sogar ausgelegt, dass er von der ländlichen Bevölkerung liebevoll-vertraulich "Schultenkarl" genannt wurde.

Obwohl eine Deputation bestehend aus dem Landrat Verhoff, dem Dechanten Schnüttgen, dem Stadtdirektor Kolkmann und dem Amtsdirektor des Amtes Reckenberg Heinrich Nienhues (von 1922 –1937 auch Bürgermeister in Wiedenbrück) bei dem OLG-Präsidenten in Hamm vorstellig geworden war und erklärt hatte, dass in der Bevölkerung kein abfälliges Gerede über das "Hamstern" des Richters in Umlauf gewesen sei und das Ansehen der Justiz keinesfalls gelitten habe, wurde Schulte zum 13.5.1949 trotz aller Verdienste als fast 60-jähriger an das Amtsgericht Dortmund abgeordnet, wo er - erneut getrennt von Familie und Heimatort - in einem möblierten Zimmer lebte.

Erst Ende 1951 durfte er im Alter von 62 Jahren an das Amtsgericht Wiedenbrück zurückkehren.

In der entsprechenden Verfügung des OLG-Präsidenten heißt es:
"...... treten in Ihre Planstelle bei dem AG Wiedenbrück zurück. Die Dienstaufsicht bei diesem Gericht ist inzwischen anderweitig geregelt und einem anderen Richter übertragen worden. Dabei verbleibt es."

Mit Verfügung des Justizministers vom 11.2.1952 wurde das eingeleitete Dienststrafverfahren endgültig eingestellt, es blieb bei einem Verweis.
Angesichts seines Lebensweges und seines mutigen Bekenntnisses zur katholischen Kirche im Dritten Reich dürfte es Karl Schulte besonders hart getroffen haben, dass ihm sowohl bei der Dienstaufsicht über das Amtsgericht (Behördenleitung) als auch 1953 bei der Besetzung der ausgeschriebenen Oberamtsrichterstelle bei dem AG Wiedenbrück ausgerechnet ein Richterkollege vorgezogen wurde, von dem nur wenige Jahre später bekannt wurde, dass er als Mitglied des Sondergerichts Prag im Dezember 1944 an dem Todesurteil gegen den damals 63jährigen tschechischen Pfarrer und Professor i.R. Karl Kratina mitgewirkt hatte, weil dieser u.a. politische Witze erzählt haben sollte.

Zum 31.12.1957 trat Karl Schulte mit 68 Jahren in den Ruhestand.
Er verstarb am 14. Mai 1966 und erhielt seine letzte Ruhestätte auf dem Ostfriedhof in Paderborn.


Quellen:
- Personalakten Karl Schulte
- Informationen und Unterlagen der Töchter Maria-Luise Schulte und Elisabeth Wallerath geb. Schulte
- Hubert Schorn "Der Richter im Dritten Reich" 1959
- Kempner "Priester vor Hitlers Tribunalen" 1967
- Photos aus Familienbesitz

Karl Schulte